Startseite "Zu Hause" - Eine Videoinstallation von Sabine
Loos
(16.8. bis 16.9. 2001 im
Saarländischen Künstlerhaus, Saarbrücken)
Ausstellungseinführung von Dr. Sabine Graf:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Sabine Loos:
Man sollte aufhören, zu suchen. Mir scheint, es ist
ein ganz monströser Schwindel, diese
Suche nach irgendetwas, die meistens und schlimmstenfalls
die Suche nach sich selbst
bedeutet. Ich habe den Verdacht, da schickt uns irgendwer
auf die Reise, die jeden, ob
Mann oder Frau, der sich darauf einlässt zu einem
realexistierenden Richard Kimble macht,
der, solange es das Drehbuch und der Regisseur vorsehen
auf der Flucht ist und sein Ziel,
verschoben um 13 neue Folgen, wieder nicht erreicht.
Ist es doch eher so, desto mehr ich suche, desto mehr
bin ich daran, mich von dem, was
ich suche recht eigentlich zu entfernen. Vor allem aber:
Wir sind dann nicht bei uns.
Unser Zuhause ist weit. Wir stehen irgendwo auf einer
staubigen Straße in einer Geisterstadt,
in der die Fensterläden mutwillig zusammengequetscht
sind, die Türangeln jaulen – wenn
man das Bild des Wilden Westens bevorzugt. Wahlweise
geht auch die Maske eines
Gewerbegebiets am Samstagnachmittag – obwohl, mich haben
gerade diese Ort immer
angezogen und mir ein wohliges Gefühl des Beisichseins
eingegeben. Nein, bleiben wir erst
mal allein. Fern des Zuhauses, des wirklichen und gewünschten
Ortes, an dem wir uns mit
uns selbst einig sind. Zuhause, das bin ich. Aber wer
nun ,,ich“ ist, das will erfahren, erlaufen,
erdacht und erlebt werden.
Gründlich und leistungsversessen wie wir alle sind,
gehen wir davon aus, dass dieser Ort,
das Zuhause des Ichs, schwer umkämpft sein muss
und weit wie ,,die Festung der Finsternis“
oder das Schloss der Schneekönigin oder irgendeiner
anderen Horror-Schickse liegt.
Prüfungen sonder Zahl stehen an....
Aber auch das lass ich besser. Sind eh nur die gängigen
Bilder von denen, die auszogen
das Fürchten und am Ende sich kennen zu lernen.
Lassen Sie mich notwendig knapp erzählen, wie es
kam, dass bei mir die Ahnung eines
Such-Schwindels aufkam. Gerade hatte ich beschlossen,
darüber nachzudenken, was ich
Ihnen erzählen wollte über das Zuhause-Sein
in der Kunst, das Sabine Loos ins Zentrum ihrer
Video-Installation gestellt hat. Normalerweise beginnt
dann die Suche nach den passenden
Zitaten, mit denen das bisschen, was man so erzählen
will, wie ein ein wenig schlaff gewor-
denes Sofa ausgestopft und aufgepolstert wird, auf dass
es mir ein wenig Ehre und Ihnen –
so sehnsuchtsvoll gehofft - ein wenig Vergnügen
bringt und Kenntnis verschaffte.
So suchte ich und merkte plötzlich, das ich fand.
Mir wurde gegeben. Grad mal so auf
meinem Weg letzte Woche durch Berlin. Also einem Ort,
mal äußerlich gesehen, an dem
ich nicht zuhause bin. Noch nicht einmal die gewohnte
Bedingungen des Schreibens mit
Büchern, Tisch und Computer gab es.
Aber es gab die Gemäldegalerie. Dort wollte ich etwas
finden, das nichts mit dem Thema
,,Zuhause“ zu tun hat. Doch dann war da was, was sich
mir ohne viel Anstrengung unterschob.
In der Virtuellen Galerie blätterte ich eine Seite
auf, auf der eine Beischrift zu einem mit
,,Elck“ betitelten Stich von Pieter Brueghel dem Älteren
aus der Zeit um 1559 sich fand.
Sie lautete: ,,Wie könnte einer sich selbst finden,
wenn immer jeder sich selbst sucht?“
Unfreiwillig kam das erste Zitat zu mir. Wichtiger aber
war der Hinweis, dass man nicht mehr
suchen muss, um sich zu finden, wie man sagt. Das zweite
Erlebnis sollte folgen.
Zum U-Bahnfahren gehört das Lesen. Bevor ich von
zuhause wegging, griff ich wahllos ins
Regal, um mit Michael Rutschkys Essaysammlung ,,Reise
durch das Ungeschick“ im Zug
nach Warschauer Straße zu sitzen.
Ein Text der Sammlung handelt von der ,,eigentlichen Arbeit“
als einer ,,Untersuchung eines
Lebensromans.“ Das mag für Sie zu erst einmal nicht
nach dem Thema ,,Zu Hause“ klingen.
Doch hier wird genau das verhandelt, was sich für
mich mit dem Thema des Zuhauseseins
verbindet. Nämlich, die Frage, wann bin ich bei
mir, wann mache ich das, was ich will oder:
Wann ist das, was ich machen will und das, was ich mache
deckungsgleich?
Es geht um die Antwort auf die Frage, wann ich zu Hause
bin.
,,Zu Hause“, das ist kein in Quadratmetern zu messender
Ort. Es ist eine Einstellung.
Rutschky zitiert in seinem Essay die Menschen herbei,
die ,,eigentlich was ganz anderes
machen wollen, als das, was sie gerade tun: Die Sekretärin
will lieber Romane schreiben
und der Buchhalter Gedichte oder umgekehrt. ,,Lebensromane“
nennt das Rutschky,
wenn einer sich davon träumt in einen Lebensverlauf,
der so ganz anders wäre, als der,
den er gerade lebt. Dass dieser Lebensroman funktioniert
ist daran geknüpft, dass er sich
nie verwirklicht, weil man nicht anfangen kann oder will.
Das Nicht-Anfangen-können hat seinen Ort mitunter
auch im Atelier des Künstlers:
Ich habe eines, also bin ich. Der Ort definiert den Menschen
und nicht der Mensch,
die Künstlerin, der Künstler definiert den
Ort, an dem er arbeitet. Und der kann auch
mitten im Alltag sein. Zwischen Spülbecken und Küchenschrank
oder mitten in der U-Bahn
oder sonst wo. Solange ich mich nicht zwischen ,,eigentlicher“
und ,,wirklicher Arbeit“,
zwischen Atelier und Kreativsein hin und her zerren lasse,
kann ich immer wo ich gerade bin,
etwas tun, was ich tun will. Ich muss es nicht vor mir
her schieben. Ich kann es jederzeit tun –
wenn ich will.
Ein Atelier kann manchmal auch ein Alibi sein für
die Leere, die einen überfällt.
Ob man daher unbedingt eins haben muss und nur ein Atelier
die Künstlerin, den Künstler
macht, wollte ich mal fragen. ,,Zu Hause“ kann man überall
sein, wenn man es schafft, bei
sich zu sein. Also nicht mehr nach sich zu suchen, wie
man sagt, sondern – nicht weniger
oft zitiert – sich findet. Besser: Sich seiner versichert
und das aufnimmt, was um einen ist.
Die Art wie dieser Text entstand, war für mich das
beste Beispiel dafür. Darum habe ich
Ihnen von seiner Entstehungsgeschichte erzählt.
Ich musste nicht suchen, so wie es der
Held eines letzte Woche wiedergelesenen Romans von Eckhard
Henscheid aus den
frühen achtziger Jahren tat. Der suchte eine Frau,
die dort nicht war, wo er suchte.
Dafür bildete er sich jede Menge ein, fand sich
und jede Menge Gefühle, verkürzt gesagt.
Auch das war für mich ein Hinweis darauf, dass alles,
was wir brauchen um uns ist.
Sofern wir es finden wollen.
Das Entscheidende war daher, dass ich mich auf mich verließ
und zudem darauf achtete,
was um mich war. Ich suchte nicht mehr, so fand ich.
Denn alles war da. Eh schon bei mir
oder gradso zur Hand. So ist das mit dem Zuhause sein.
Es ist da, wenn und weil ich da bin.
Ich bin immer zuhause. Ich muss nicht suchen, indem ich
auf eine Reise gehe, um zu einem
in der Ferne geglaubten Ziel zu kommen. Ich war immer
schon da.
Zu Hause, wenn man so will.
Also nicht mehr suchen. Sondern finden. Am besten jetzt
gleich und hier anfangen
,,Zu Hause“ zu sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Videostills aus dem Videofilm
>Zu Hause<
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